aufgenommen in Halle / Saale

Erzählung am Kamin in der Kreativmühle Mücheln.

01

Biografisches

Mein Name ist Rüdiger Paul Paul.

Im Jahre 1959 bin ich am Rande des Bad Lauchstädter Kurparkes,  im historischen Badehaus geboren.

In der  Merseburger Albrecht-Dürer-Schule habe ich das Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt.

In der BBS-Leuna erlernte ich einen technischen Beruf.

Achtzehn Monate lang wurden mir die Grundbegriffe des Waffenhandwerks eingetrichtert (Grundwehrdienst NVA).

Fast vierzig Jahre meines Arbeitslebens war ich in der Werkstoffprüfung tätig.

Mein Herz schlägt für die Familie,  die Natur und die Kunst.

2006 begab ich mich auf eine 700 Kilometer lange Pilgerwanderung.

Anhand der Aufzeichnungen entstand mein erstes Buch mit dem Titel "Jesuslatschen Größe 42".

Seit 2009 bin ich Mitglied in der Autorengruppe "Leseturm" in Merseburg/Beuna. 

Als Hobbys möchte ich Lesen, Schreiben, das Gärtnern und Fotografieren nennen.

Künstler wie: Auguste Rodin, Salvador Dali, Neo Rauch, Willi Sitte, Hermann Hesse, Man Ray, Thomas Wolfe, Erich Kästner, Erwin Strittmatter und Charles Chaplin bereichern meine Fantasie.

Ebenso könnte ich mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. Hier reicht die Bandbreite von Anton Bruckner bis Frank Zappa.


 02

Neuerscheinungen


Neuerscheinung 12/22

"Es ist unsere Zukunft"

Die neue Anthologie vom "Leseturm" ist da.

Neuerscheinung 06/22

"Absitzen"

           Ein Schelmenroman

Bereits in dritter Generation Eisenbahner, bekommt Hendrich Bauer sein Leben erst gar nicht in die Hand, denn er wird mit dem Fahrplan groß. Nach einem groben Verstoß wechselt er diesen mit dem Dienstplan einer Kompanie. Nie wieder würde er die Kontrolle aus der Hand geben, auch wenn sie sein Leben kosten würde. Robert Pasch lässt sich von einem Oberleutnant nicht verpflichten und wird mit ihm in der selben Kompanie seine Fahrerlaubnis absitzen. Dieses Dreigestirn reist für 18 Monate gemeinsam durch ein System voller Befehle, Angst und Niedertracht. Dort wo Gleichmut, Freundschaft und Liebe wachsen könnten, werden sie im Namen der Ordnung erstickt. Dennoch schaffen es die eher kleinen Momente, Pasch und seine Mitstreiter aus der Umklammerung zu befreien.

Der SOUNDTRACK zum Buch

(zu hören unter: Spotify-Absitzen) begleitet Robert Pasch durch seine Geschichte.

Erscheint am 19.06.2022 im Projekte-Verlag

ISBN 978-3-946169-57-4

Flyer für Lesung: https://express.adobe.com/post/PMwqzPZMAzHnk/

Rezensionen und Meinungen

Absitzen



von: Dr. Reinhard Münch

       Historiker


 

Individuelle Freiheit ist ein recht weit fassbarer Begriff. Das war vor hunderten Jahren so und wird aktuell auch wieder erlebbar, nämlich in welchem Maß man diese Freiheit persönlich empfindet und womöglich braucht. Im Buch wird beschrieben, wie Ende der 70er das Leben und der Dienst in der seinerzeitigen "Volksarmee" ablief. Und stellt man hier wieder die Frage nach der individuellen Freiheit, merkt man schnell, dass die seinerzeitige Gesellschaft den Rahmen im Alltagsleben dafür recht eng gezogen hatte- aber das, was man als denkender und fühlender Mensch bei der "Asche" erlebte, war schon heftig. Heftig dann, wenn man sich Vorstellungen hingegeben hatte, dass ein eigener Spielraum denkbar wäre. Dass wiederum nicht die Mehrheit der jungen Dienstverpflichteten daran zerbrochen ist, hängt zum einen mit dem Alter zusammen. Als junger Mensch geht man halt in die Welt und hinterlässt nicht zu viel, was in dieser Lebensphase unbedingt tagtäglich um einen herum sein muss.

Dann, und das rettete wohl die meisten, es trifft halt jeden irgendwie mit der Armee. Also Augen zu und durch.

Drittens, und da graust es einen, wenn man sich dieses Szenario vorstellt: die gerade erwachsen gewordenen Männer kannten im Osten klare Strukturen und wussten, wie man sich innerhalb engmaschiger Systeme verhalten musste - heute - UNDENKBAR. Ein NVA- Dienst über eineinhalb Jahre würde die derzeitige Generation zu Psychosen, Aggressionen und was auch immer treiben. "Normal" würde wohl nur jeder 10. wieder zurück in die ohnehin absurde Welt kommen.

Das Buch beinhaltet eine wunderbare Beschreibung des Alltags im Armeedienst, mit all den unerklärlichen Dingen, den Herausforderungen, die einem halfen im späterem Leben manches "cooler" zu sehen und entsprechende Wertigkeiten in einer Reihenfolge im Leben aufzureihen, die etwas mit gesundem Menschenverstand zu tun hat.

ABSITZEN ist die Widerspiegelung einer Zeit vor über 40 Jahren. Der Autor hat es vermocht, alles so darzustellen, als ob es gestern gewesen sei. Vieles vergisst man über die Zeit, Paul Paul nicht. Warum das so ist, wird er selbst erzählen können.

Was man nicht herausliest, ist Verbitterung, Boshaftigkeit in der Abrechnung  mit der Vergangenheit, sondern eine ruhige, mit der Sicht auf die Dinge auch skurrile und freundliche Beschreibung dessen.

Jeder, der mit NVA-Grundwehrdienst etwas anfangen kann, aus dem Erleben oder dem Erzählen, sollte dieses Buch in die Hand nehmen und lesen. Es ist auch nicht verkehrt, zu aller erst das Glossar oder den zweiseitigen Soundtrack zu studieren. Wer die Zeit kennt, ist sofort drin. Es tickt doch recht schnell, wenn der Buckel dem Zwischenpisser erklärt, wie der Muckerbus auf Hochglanz zu bringen sei. Oder war das ein Job vom Zehnender? Alles verstanden? Ich ja.


Empfehlenswert ist diese Lektüre auf jeden Fall.


MZ-  Neuer Landbote   Ausgabe vom 30.09.2022

 „Coryright Mitteldeutsche Zeitung“




TARMSTEDT

Musikalische Lesung am

Rethbergsee in Tarmstedt

von Saskia Harscher

Noch sind sie unterwegs und absolvieren eine musikalische Lesereise entlang des „Grünen Bandes“ von Lübeck nach Hof. Doch am 19. August um 19 Uhr macht das Duo „Paul Paul und Wilf Wilf“ für ein Gastspiel einen Abstecher zum Wochenendpark Rethbergsee am Wörpeweg 51 in Tarmstedt.

Rüdiger Paul ist Autor aus Merseburg und Mitbegründer des Leseturms

und wird an diesem Abend sein neues Buch „Absitzen“ vorstellen.

Musikalisch begleitet wird er dabei von Singer-Songwriter Wilfried Helck

aus Tarmstedt. Dieser wird Lieder aus eigener Feder aus seinem Programm „Helck weißt noch? Lieder, die das Leben schreibt“ zusteuern.

„Freuen Sie sich auf eine etwas andere Veranstaltung, eine musikalische

Lesung der besonderen Art“, heißt es dazu in einer Pressemitteilung der

Organisatoren. (pm/ha)





Seit 60 Jahren Musiker


Wilfried Helck aus Tarmstedt tritt als Wilf Wilf mit dem Autor Paul Paul am Rethbergsee auf.


Tarmstedt Kleinkunst am Rethbergsee in Tarmstedt gibt es nicht alle Tage, da lässt die Ankündigung einer musikalischen Lesung schon aufhorchen: Für Sonnabend, 19. August, 19 Uhr, ist hinter der Kneipe mit Blick auf den See unter freiem Himmel der Auftritt zweier Künstler geplant, deren Namen erst recht aufhorchen lassen:

der Autor Paul Paul liest aus seinem neuen Buch „Absitzen“, und der Musiker Wilf Wilf liefert dazu mit der Gitarre live den passenden Soundtrack.

So so, Wilf Wilf nennt sich der Gitarrenmann, ist ja ulkig, wie kommt er denn dazu? Fragen wir ihn am besten selbst, wir treffen ihn in seinem gemütlichen Holzhäuschen, das er seit 2005 mit seiner Frau am Rethbergsee bewohnt. Der Mann ist also seit fast 20 Jahren Tarmstedter, heißt im richtigen Leben Wilfried Helck, ist 65 Jahre alt und seit kurzem Rentner.

Musiker ist der frühere Vertriebstechniker hingegen schon fast sein ganzes Leben lang. Von der Pauke fasziniert Und das kam so: Fünf Jahre alt war der kleine Wilfried, als er in seinem Dorf Armstorf dem Schützenfestumzug beiwohnte und fasziniert dem Mann zuschaute, der die dicke Pauke schlug. „Das wollte ich auch machen“, erzählt Helck, „das hat mich total inspiriert, das ist mir durch Mark und Bein gegangen.“ Da aber zu Hause Anfang der 1960er Jahre das Geld knapp war, und eine eigene Pauke absolut nicht drin, schlug der Junge auf den Flüchtlingskoffer ein, den seine Mutter und die Großeltern aus Ostpreußen mitgebracht hatten. „Ich habe ihn mit einem Kotelettklopfer derart bearbeitet, dass er bald kaputt war.“ Daraufhin baute er sich aus Töpfen und Topfdeckeln, die er am Gartenzaun befestigte, sein erstes Schlagzeug. Bei dem Instrument blieb er, auch wenn er zwischendurch einem Mitschüler für fünf Mark eine Elektrogitarre abkaufte, die er samt Verzerrer ans heimische Röhrenradio anschloss. Erst als er mit 20 genügend Geld beisammen hatte, stellte sich Helck ein eigenes richtiges Schlagzeug in den Keller, auf dem er jeden Tag übte. „Ich habe mir damals viele Bands angeschaut, und mein Vorbild war Ian Paice, der Schlagzeuger von Deep Purple“, sagt Helck. Durch ganz Deutschland getourt Zehn Jahre tingelte er an Wochenenden mit Einer Band durch die Gegend, die Tanzmusik machte, was gutes Geld einbrachte, aber nicht sonderlich erfüllend gewesen sei. Mehr Spaß machten ihm die Rockbands, denen er Angehörte. Pamper‘s Who beispielsweise, eine Coverband aus Bremen.

Später war Helck Schlagzeuger bei Biff Bang Pow, die eigene Songs spielte, aber auch Glamrockbands wie Slade und Sweet sowie Punkbands wie die Ramones coverte. „Wir sind bis 2010 durch ganz Deutschland getourt“, erzählt Helck, „wir waren auch mal Vorgruppe der Rattles.“ Später entschied sich Helck, die Sache ruhiger angehen zu lassen, besann sich auf seine Gitarrenkenntnisse und wurde Singer/ Songwriter. Er trat mit eigenen Songs auf, mit deutschen Texten. „Ich möchte die Menschen erreichen, ihnen mit Geschichten aus dem Leben ins Herz spielen“, meint er.

Und so kam es, dass der Tarmstedter bei einem Reha-Aufenthalt 2021 in Saalfeld ein kleines Privatkonzert gab, zu dessen Zuhörern auch, der in Merseburg lebende Schriftsteller, Rüdiger-Paul Paul gehörte. Paul Paul, wie sich der Autor nennt, fragte Helck später, ob er ihn nicht auf einer Lesereise musikalisch begleiten und ein paar Songs zum neuen Buch schreiben wolle. Helck wollte und hatte auch gleich einen neuen Künstlernamen weg: AusWilf, wie Musikerkollegen seinen Vornamen Schon vorher verkürzt hatten, machte Paul Paul schließlich Wilf Wilf.


Deutsch-deutsches Projekt Die musikalische Lesereise fand statt, sie führte die beiden Künstler in diesem Frühjahr entlang des grünen Bandes im einstigen Grenzgebiet zwischen BRD und DDR von Lübeck nach Hof. Während Paul Paul mit dem Fahrrad von einem Auftrittsort zum nächsten strampelte, zog Helck mit seinem Camper den kleinen Wohnwagen des Künstlerfreunds zu den 13 Stationen der Tournee. Ein deutsch-deutsches Projekt nennt Helck das Unternehmen, heilfroh über die positive Wendung der Geschichte, die nach dem Kalten Krieg zur Wiedervereinigung führte. Denn beide seien sie ungefähr zur gleichen Zeit beim Militär gewesen, nur eben jeweils der gegnerischen Seite angehörig. „Es hätte passieren können, dass wir uns gegenüber stehen, er mit der Kalaschnikow, ich mit meinem G3-Gewehr“, sagt Helck. Dazu sei es zum Glück nie gekommen, stattdessen seien sie Freunde geworden. Und als solche wollen sie nun gemeinsam in Tarmstedt auftreten. Eingefädelt habe Dies Simon Pfleging, der Geschäftsführer des Wochenendparks Rethbergsee.


In Paul Pauls aktuellem Buch „Absitzen“ verhandele der Autor ein Stück Zeitgeschichte, so Helck. Er richte den Blick über den Zaun in den untergegangenen, kleinen zweiten deutschen Staat und erzähle unter anderem Geschichten aus dem Alltag der Nationalen Volksarmee. „Er macht das mit Tiefgang und mit einem Augenzwinkern, der brave Soldat Schwejk lässt grüßen“, meint er. Seine Lesungen gestalte Paul Paul mit Charme und Witz.

Der Musiker Wilfried Helck lebt in Tarmstedt und hat als Rentner nun noch mehr Zeit zum Üben und zum Schreiben seiner Songs. Die musikalische Open-air-Lesung am Rethbergsee (Wörpeweg 51 in Tarmstedt) mit dem Duo Paul Paul (Autor) und Wilf Wilf (Singer/Songwriter) findet statt am Sonnabend, 19. August, 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. Bei schlechtem Wetter wird die Veranstaltung ins Clubzimmer verlegt. FOTO: HEEG von Johannes 



MZ- Neuer Landbote  Ausgabe vom 03.09.2020       



Autor aus Meuschau hat sich dem Püppchenstein gewidmet


Meuschau - Der Autor aus Meuschau widmet sich in seinem neuen, kleinen Werk dem geschichtenumwobenen Püppchenstein.


Von Melain van Alst

MZ Ausgabe vom 03.09.2020


Um einen Stein zwischen Beuna und Geusa ranken sich mehrere Geschichten, die sich Rüdiger Paul für sein neuestes Werk zu Nutze gemacht hat. „Der Püppchenstein“ dürfte Ortskundigen als Sage ein Begriff sein und ziert nun auch das Cover einer kleinen Broschüre, wie es Paul selbst nennt. Darin greift er zwar die historischen Geschichten um den Stein auf, hat sich jedoch eine Geschichte dazu erdacht.


„Die Geschichte spielt während des Siebenjährigen Krieges“, sagt Paul mit dem Heftchen in der Hand. Bevor er sich jedoch die Liebesgeschichte dazu überlegt hat, hat er etwas mehr über den Püppchenstein erfahren wollen. Nachgelesen habe er daher in den Heften „Merseburger Land“, die sich unter anderem auch mit Sagen beschäftigen. Der Püppchenstein soll einst ein zwei Tonnen schwerer Braunkohlequarzit gewesen sein, der als Totenstein bekannt war.

Demnach wurden in Geusa Gestorbene auf den Friedhof in Beuna gebracht und auf halben Wege hätten die Träger eine Pause an dem Stein eingelegt und den Sarg abgelegt. Ein weiterer Teil der Sage besagt zudem, dass Sonntagskindern, die in einer Vollmondnacht am Stein vorübergehen, tanzende Püppchen erscheinen. Aber jene, die um Mitternacht am Stein vorbeigehen und keine Sonntagskinder sind, entweder erstarren oder in die Irre geführt würden.

Ein weiterer Teil der Sage ist für den Meuschauer ein wichtiger Aspekt seiner Geschichte. Denn angeblich soll ein französischer Leutnant darunter begraben sein. Jener Leutnant, zwar selbst erdacht, ist aber einer der beiden Hauptakteure der Liebesgeschichte. „Die Geschichte hat auch immer wieder Bezüge zur Region, zur Hoppenhauptkirche oder zur Mühle in Beuna“, sagt der 61-Jährige.

Er habe sich viel damit beschäftigt, erklärt Rüdiger Paul. Das sei für ihn ein wesentlicher Bestandteil seiner Kreativität. So sei auch das Buch „Jesuslatschen - Größe 42“ entstanden, wodurch er zum Schreiben gelangt sei. Paul beschreibt darin, welche Erfahrungen er selbst auf einer Reise auf dem Jakobsweg gemacht hat.

Er hat auch schon das nächste Projekt, an dem er gerade schreibt und ist im „Leseturm“ engagiert. Das Schreiben ist für Rüdiger Paul zu einem ständigen Begleiter geworden.


 „Coryright Mitteldeutsche Zeitung“

5 von 5 Sternen

Jesuslatschen Größe 42

Hervorragendes Buch für Jakobswegpilger der Nordroute

Kundenrezension aus Deutschland 🇩🇪 am 18. Februar 2010


Endlich ein Buch über die nördliche Pilgerroute Camino del Norte" und dann noch so ein herrlich geschriebenes, in dem Rüdiger Paul seine Erlebnisse vom 16.04. bis 19.05.2006 mehr als eindruckvoll schildert. Der aus Merseburg stammende Autor ist ein viel belesener und musikinteressierte Mann mit einer Vorliebe zu Salvatore Dalis Malkunst, der seine Umgebung und die ihm begegnenden Menschen hervorragend beschreibt. Das Lesen und die Anteilnahme an seinen Erlebnissen ist seitenweise ein wahrer Genuss. Wichtig erscheint mir: auf dem nördlichen Pilgerweg kann noch eine Ursprünglichkeit erlebt werden, die der Pilger auf dem südlicher verlaufenden Weg heute vergeblich sucht. Erst nach 5 Wandertagen begegnet Paul dem ersten Pilger (!) in einer der einsamen Herbergen. Hier ist das Ursprüngliche moderner denn je. Oftmals vermittelte gerade die Einfachheit der Dinge eine Geborgenheit, nach welcher man sich im Leben sehnt. .... Auf einem paradiesischen Weg entlang der Küste öffnen sich die Augen allmählich wieder zum bewussten Sehen. Man ist durch die äußeren Umstände vergrämt und lässt nicht einmal das Schöne einströmen, bis man dann scheibchenweise den Körper wieder frei gibt, um an der Natur teilzuhaben." Ja, es fällt dem Pilger nicht immer leicht den rechten Weg zu finden und die Anstrengungen die meistern, die von ihm abverlangt werden. Aber Paul genießt die herrliche Landschaft in vollen Zügen und erfrischt sich beim Essen, dass die Erotik der Pilger ist" genauso, wie bei den oft holprigen Gesprächen, die er gerne mit Herbergsbesitzern, Mitpilgern und Dorfbewohnern führt. Häufig legt sich der Autor ins Gras, isst einwenig, nimmt die Gerüche wahr, streichelt über Ruinen und Sträucher, ehe er sich eine Mütze voll Schlaf gönnt, um erholt tiefe Täler und hohe Berge zu durchwandern. Alles genießt er im Alleingehen besser als beim gemeinsamen Pilgern den eigenen Rhythmus verändern zu müssen. Übrigens herrliche Farbaufnahmen bebildern das Buch und machen Lust, sich auf diese Pilgerreise zu begeben. Natürlich ist Paul darüber betrübt, die Küste verlassen zu müssen, um ans Ziel seiner Wanderung nach Santiago zu gelangen. Peter Schibalski

Veröffentlicht in Der Jakobusfreund" Nr. 10/Februar 2010 - Freundeskreis der Jakobuspilger, PaderbornNeuer Text

 03

bereits erschienene Bücher und eigene

Geschichten in Anthologien

Rüdiger Paul
Jesuslatschen Größe 42


ISBN 978-3-86634-741-0

Erlebnisse auf einer Pilgerwanderung von Bilbao nach Santiago de
Compostela (2009)
Spotify Playlist:
Jesuslatschen Größe 42





Jesuslatschen Größe 42 Leseprobe

Rüdiger Paul
Der Püppchenstein von  Geusa 


ISBN 978-3-948058-32-6

Eine sagenhafte Geschichte zu Zeiten des Siebenährigen Krieges (2021)



"Püppchenstein" Leseprobe

Anthologie
Bürgercampus
Merseburg



Merseburger- Gabelgeschichten (2013)
"Die Familiengabel"

Leseprobe  (1. Kapitel)


Da Hendrich Bauer seinen Beruf nicht heiraten konnte, lebte er mit ihm in wilder Ehe. Hier Frau und Sohn. Dort Kurbel und Schranke. Böse Zungen behaupteten, der Schrankenwärter sei mit einer Eisenbahneruniform zur Welt gekommen. Hätte Hendrich mit dem Bahnwärterhäuschen geschlafen, damit wären die Menschen später zurechtgekommen. Aber, dass Hendrich Bauer, der Übervater aller Schrankenwärter, in dieser Nacht am Arbeitsplatz die Augen schloss, das war unfassbar. Der stets Wachsame und Perfekte, nie einen Zug Vergessende, wollte lieber tot gewesen sein, als das unabwendbare Ereignis zu sehen, was vor seinen Augen passierte. Als er am späten Abend die Wohnung verließ, spürte Hendrich noch keine Schicksalswehen. Auch auf dem Weg zur Nachtschicht war alles noch normal, doch mit Einbruch der Morgendämmerung trommelte das Grauen so heftig an seine Schläfe, dass er meinte, den Verstand verlieren zu müssen. Und nun stand Hendrich auf der Brücke, hoch über dem Fluss, um sein Leben zu fluten. Er musste vor dem mächtigen Lastkahn im Wasser sein, dann wäre Schluss. Im Strudel der Schiffsschraube würden alle Probleme klein und nichtig werden. Zögern brachte nichts, es musste sein. Zu spät löste sich Hendrich vom Geländer. Er zählte die Sekunden: „Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vier.“ Sah so der Tod durch Ertrinken aus? Schmeckte er staubig und fühlte er sich warm an? Ganz am Ende vielleicht, aber wer wusste das schon? Bis zum Nabel steckte Hendrich in einem Aschehaufen. Der Schubkahn transportierte die staubige Ladung samt Hendrich zur Deponie. Vorerst Endstation. Hendrich musste dem Leben nachgeben. Zu diesem frühen Zeitpunkt der Geschichte ist es noch zu verstehen, an welcher Stelle Hendrichs Schicksalsweg den Anfang nehmen musste, und warum er auch zu einem schrecklichen Ende führen wird.


Schlaflos in einer Weltstadt


Sieben lange Stunden versah der Bahner ohne Vorkommnisse seinen Dienst. Fahrplanmäßig erwartete Hendrich vor Dienstschluss zwei Züge, einen Güterzug und den Interzonenzug aus Warschau. Dieser überquerte bei Görlitz die polnische Grenze und fuhr weiter über Dresden-Leipzig-Erfurt nach Eisenach. Für die Eingesessenen endete die Fahrt zwei Stationen vor dem Schlagbaum. „Bürger ohne gültiges Ausreisevisum haben den Zug unverzüglich zu verlassen“, schallte es aus den Lautsprechern vor dem Grenzübergangsbahnhof.

Soeben hatte ein Güterzug Hendrichs Schrankenposten passiert. Bis zum Interzonenzug klaffte auf dem Plan eine zweiunddreißigminütige Pause. Die Zeit nutzte Hendrich für einen seiner Ausflüge. Er strich auf dem Diensttisch eine abgegriffene Ausgabe der „Wochenpost“ glatt und legte die „Armeerundschau“ obenauf. Seine Frau Christel hatte sie ihm in die Tasche gesteckt. Auf der Rückseite des Magazins präsentierte sich das Model des Monats. Hendrich stand eher auf herbe Schönheiten, auf jene, die ihre Vorzüge erst auf den zweiten Blick preisgaben. Die Dame posierte vor einem Leuchtturm. Der Bahner Hendrich ahnte im Turm ein Symbol für Standhaftigkeit und Manneskraft. An der Stelle verwischte sich die Spur im Diesseits. Die Augen des Betrachters lösten sich vom Bild des Models. Traumsequenzen flimmerten im Kopf. Der Leuchtturm versank im Meer. Statt der Wellen wogten Straßen, Plätze und Parkanlagen. Aus dem Strandhafer wuchsen Sträucher und Bäume. Dünensand wehte über die Dächer von Paris und aus deren Mitte ragte der Eiffelturm. Die Stadt der Liebe hatte vom Bahner Besitz ergriffen. Hendrichs dunkelblaue Uniform wandelte sich in einen Frack. Die Dienstmütze wuchs hoch zum Zylinder. Aus dem Signalhebel entstand ein Gehstock. Statt der zwei Salamibrote, welche auf dem butterverschmierten Pergamentpapier lagen, sah Hendrich ein Paar Glacéhandschuhe. Der Traumzug verlangsamte die Fahrt und fuhr in den Bahnhof Paris Gare de l` Est ein. Gleise und Halle gönnten der Metropole keine Nachtruhe. Lautsprecheransagen, schnaufende Dampfloks, ratternde Gepäckkarren und das Gewimmel der Reisenden verliehen der Station ein unverwechselbares Flair. Monsieur Hendrich Bauer entstieg dem Waggon des „Orient Express“. Jenes Zuges, dessen Luxus im Jahre 1883 erstmals den Orient mit Paris verband. Hendrich war von den vornehmen Herren nicht mehr zu unterscheiden. Ihm standen die Türen aller Salons der Weltstadt offen.

Anthologie
Bürgercampus
Merseburg

Merseburger-
Gespensterwarheiten (2015)

"Über die Anwendung barocker Zaubersprüche"
Gespensterwahrheiten Leseprobe

Anthologie
Bürgercampus
Merseburg

Merseburger-
Grüne Geschichten (2016)

"Lucas der Eroberer"

Anthologie
Bürgercampus
Merseburg


Merseburger
Neumarktgeschichten (2013)

"Neumarktzeit"

Anthologie  
Leseturm (II)
Merseburg/ Beuna

Merseburg zwischen Russenkaserne, Strandkorb  und TH (2016)
"Gelb mit schwarzen Punkten"
" Die Willi"



"Leseturm II" Leseprobe

Anthologie  
Leseturm (III)
Merseburg/ Beuna

Das Wendebuch
Wir sind das Volk (2015)

"Graffiti"
"Hallorenkugeln"
Hallorenkugeln Leseprobe

Anthologie  
Leseturm 
Merseburg/ Beuna

Weihnachtsgeschichten
aus dem Leseturm (2017)

"Was ist Weihnachten?"
"Du bekommst, was du gibst"
"Kohlrabenschwarz"

Anthologie  
Leseturm (I)
Merseburg/ Beuna

geschrieben in, über und um
Merseburg herum (2014)

"Die Ewigkeit hat sich nur ausgeruht"

Anthologie  
Merseburger Zaubergeschichten

Schreibaufruf vom 
Leseturm


Anthologie 
Leseturm (IV)

Merseburg/ Beuna


geschrieben um und über unsere  Zukunft (2022)


"Mythos Europa"




„Alles beginnt mit einem Gedanken“

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Bildband

Illustriert vom Fotoclub Inspiration

mit Texten von der Autorengruppe

Leseturm

Fotografie, Lyrik und Prosa aus Halle und Merseburg (2020)


"Nebel"

"Wut"




Licht & Tinte Leseprobe



Man muss eine Straße lieben, wenn man über sie eine Geschichte schreiben möchte. Unendlich lang fühlen sich die Tage der Kinderzeit in der Merseburger Wilhelm- Liebknecht- Straße an. Die von alten Linden gesäumte „WILLI“ ist Anfang Mai am schönsten, dann, wenn frisches Laub sattgrüne Wolken über der Straße bildet. In den Häusern wird gewohnt. In den Höfen gefeiert. In den Gärten wird gesät, gepflanzt und geerntet. In den Geschäften gehandelt. In Werkstätten wird gewerkelt. In den Firmen gearbeitet. In die Schule wird gegangen. In Kneipen Bier getrunken. Im Sommer werden Lindenblüten gepflückt. Im Herbst stehen die Leitern in den Birnenbäumen und die Kartoffeln werden eingekellert. Vor dem Winter werden Kohlen geschippt und im Winter  wöchentlich graue Aschetonnen gerollt. Die Läden heißen Bäcker, HO, Konsum, Schuster oder Fleischer.

Unsere „Easy Street“ beginnt in westlicher Richtung am Rande des Ottolochs. In Verlängerung der „WILLI“ führt ein Weg zur noch im Bau befindlichen F91. An ihrem östlichen Ende wird die Wilhelm-Liebknecht-Straße von einer Ziegelmauer begrenzt. Die „Sonnenallee“ lässt grüßen.

Hinter der Mauer verlaufen Gleise der Bahnstrecke Halle-Erfurt. Ein Fußgängertunnel am Ende dient als Verbindung zur Stadt. Auf der anderen Seite erhebt sich neben den Schienen ein Wasserturm. Wer aus der „WILLI“ kommend auf den Turm zugeht, sieht auf dem Geländer der Kuppel eine Taube. Beim genaueren Hinsehen ist zu erkennen, dass der vermeintliche Vogel nur der Umriss einer rostigen Seilwinde ist.

Unsere Geschichte beginnt an einem Maimorgen im Jahr 1968. Ein Ferientag. Gegen neun Uhr schälen sich die Kumpels allmählich aus den Haustüren. Zu allem bereit, was ein Tag bietet. Wir, das sind: Blechi, Maahties, Möbelscholz, Fetscho, Posti, Fischi und Lucke. Einer fehlt noch. Etwas verschlafen verlässt Motor das Haus Mit der Nummer 20. Seinen Lederball trägt er sportlich in der Armbeuge. Heute möchten wir die Straße vermessen. Nicht etwa mit dem Zollstock. Nein, wir spielen Treibeball. Das heißt, der Ball wird abgestoßen, derjenige der ihn zuerst berührt, darf den nächsten Schuss ausführen. Es wird festgelegt, dass wir vor dem Tor der Haeckel-Schule beginnen und in östliche Richtung stürmen. Das Spiel endet, wenn der Ball vor die Mauer an der Eisenbahnstraße prallt.

Auf der Mitte der Straße legt Motor filmreif den Ball zurecht. Er trägt als einziger Lederturnschuhe an den Füßen. In unseren Augen ist er ein Profi, denn er trainiert in der Schülermannschaft von Motor Merseburg. Straff zieht die Flanke über die Köpfe hinweg, ein Meisterschuss. Motor erweist seinem Namen alle Ehre. Der Zufall will es, dass Fetscho den Kopf direkt in der Flugbahn hält. Hart trifft der Ball den Hinterkopf, wird abgefälscht, neben der Einfahrt zur Malerfirma „PGH Raum und Farbe“ erreicht Fetscho den Ball. Noch etwas benommen nimmt er Anlauf und schießt. In dem Moment kommt ein mit Bockleitern- und Farbkübeln beladener Barkas Lieferwagen aus der Einfahrt. Bremst vor dem Fußweg. Fahrer und Beifahrer gestikulieren hinter der Frontscheibe, denn der Ball pfeift knapp an den Vorderrädern des Fahrzeugs vorbei. Knatternd rollt das Gefährt über die Kreuzung in die Albrecht-Dürer-Straße.

Möbelscholz sprintet dem Ball hinterher, stoppt ihn mitten auf der Straße. Er kommt aus dem Tritt, verzieht den Schuss. Der Ball rollt über den Fußweg, schlingert an der Hauswand entlang. Noch bevor der Ball in einem fensterlosen Kellerloch verschwindet, stoppt Lucke die Kugel. Da er direkt abzieht, fliegt sie am stetig brummenden Trafohäuschen vorbei. Sie landet unweit der Einfahrt zur Tischlerei. Gebeugt läuft Frau Büttner direkt ins Spielfeld. Da sie schwer hört, bekommt sie von dem Lärm nicht viel mit. Über die Straße hinweg grüßt sie mit dem Gehstock den dicken Herrn Schmidt. Der steht vor seinem Haus, im Schatten einer alten Linde, und schaut unserem munteren Treiben zu.  Haarscharf verfehlt der Ball  Frau Büttners Fersen. Sie geht die Einfahrt entlang zu dem kleinen Haus neben der Tischlerhalle und gibt unbewusst den Ball frei. Mit Feuerwerk treibt Fischi ihn über die Rektor-Block-Straße hinweg.

Plötzlich droht Gefahr. Aus der gegenüberliegenden Friesenstraße kommen Bobby und Mike. Die zwei zählen in der Albrecht-Dürer-Schule zu den Gammlern. Unsere Lehrer sagen: „Lange Haare, Schlaghosen und ein Kofferradio sind dafür unverkennbare Erkennungszeichen.“ Albrecht Dürer hatte zwar kein tragbares Radio, trug dafür aber die Haare länger als Mike. Im Kurzwellenrauschen des „Stern Party“ können unsere Ohren einen Stones-Song erahnen. Deren Mike heißt Mick und die Stones lebten hinter der Mauer. Das Spiel wirkt statisch, da keiner den Ball vor Bobbys Füße ballern möchte. Jedoch scheinen die beiden andere Sorgen zu haben, als uns den Ball abspenstig machen zu wollen. Sie schauen nicht einmal in unsere Richtung.

Posti nimmt den Ball in die Hand, schießt ihn steil in den Morgenhimmel. Das war nichts, denn er strandet bei Meusens im Goldfischteich. Zum Glück ist die kleine Holztür zum Vorgarten offen. Blechi angelt den Ball fix heraus und bringt ihn unversehrt ins Spiel zurück. Im ersten Stock bewegt sich eine Gardiene, das deutliche Klopfen an der Fensterscheibe wird allseits überhört. Blechis Pass überquert die Straße, prallt mit Wucht an den Pfosten der breiten Einfahrt zur Meisterbräu Afüllerei. An einer Kante wird er abgefälscht und zieht nach oben. Letztendlich landet das Leder im Beiwagen der Sport- AWO vom ABV. Der Dicke holt den Ball aus der Kiepe, er besitzt Heimvorteil. Das Motorrad gehört seinem Vater. Der sitzt gerade uniformiert im ABV-Büro, bekommt von alldem nichts mit. Im Haus mit der Nummer 21 sind die Fensterflügel des Wohnzimmers weit geöffnet, jemand übt am Klavier. Fetscho legt den Ball vor die AWO und schiebt ihn schräg über das Kopfsteinpflaster bis zu Hennigs Kolonialwarenladen. Durch die Schaufensterscheibe sieht man Herrn und Frau Hennig, weiß bekittelt, hinter dem gläsernen Tresen hantieren. Frau Hennig poiliert eines der Bonbongläser mit dem süßen Inhalt. Vor der großen Fensterscheibe steht der lange Maahties bereit, als scheint er auf den Ball zu warten. Geschickt nimmt er den Ball an und bolzt ihn rüber, vor die Tür der 26. Er setzt dem Ball hinterher, nimmt ihn unter den Arm, zückt einen Haustürschlüssel und verschwindet zur Pinkelpause. Nebenan steht das grüne Tor der Klempnerwerkstatt offen. Der Meister Henneberg packt die lederne Klempnertasche in den Lastengepäckträger seines schweren Fahrrades. Er schiebt das Rad auf den Fußweg, zieht die Tür ins Schloss, steigt auf, mit einem nasalen „Na Jungs“ fährt der alte Herr behäbig davon.

Maahties ist wieder da, weiter geht’s. Posti hat sich positioniert und flankt,  sein Ball prallt vor den Stamm einer Linde und knallt gegen das Haustor vom Architekten Schleie. Der Aufprall ruft Frau Winter auf den Plan. Sie hat Bange um ihre frisch geputzten Fensterscheiben. Bevor sie etwas sagen kann, bekommt Blechi den Ball, nimmt kurz Anlauf und sdrückt ab. Das Leder fliegt knapp an Motors Kopf vorbei, prallt an den Reifen vom abgestellten Jaucheauto. Der LKW gehört Herrn Pfuhl, der am Ende der Straße bei der Stadtwirtschaft arbeitet. „Paßt ein bißchen auf Jungs“, ruft der Beifahrer. Beim Sprechen bläst er Zigarettenqualm aus. Motor erreicht den Ball noch vor der Kreuzung. Er legt nach. Am Bordstein vor der Poststelle prallt das Rund ab, fliegt in Richtung Gaststätte „Lindeneck“.

Ein dunkelgrüner Brauereilaster steht mit laufendem Motor in der Erzbergerstraße, direkt neben der geöffneten Kellerluke. Lautstark redend rollt ein kräftiger Mann ein Bierfass an den Rand der Bordwand. Er lässt es auf ein festes Polster aus Kokosfasern fallen. Auf dem Gehweg steht ein Kollege, der das Fass hält. Dann dreht er es und wüchselt es geschickt auf eine Bohle. In kurzer Zeit gelangen drei Fässer, dumpf kollernd, in den Bierkeller. Einem zum Lüften angekippten Kneipenfenster entströmt ein Duftgebräu aus kaltem Zigarettenrauch, abgestandenem Bier und Bockwurst.

Jetzt kommt Fischi an die Reihe. Den offenen Sandalen geschuldet trifft auch er den Ball nicht genau. Der kullert mehr, als dass er fliegt, und bleibt vor dem Tor zur Blumenbinderei liegen. Eine schwarz gekleidete Frau verlässt in dem Moment mit einem Trauerkranz die Durchfahrt. Auf der anderen Straßenseite steht die Ladentür der „Bäckerei Lenz“ offen. Duft von frischem Brot strömt aus der Tür. Dem hinterherriechend, kommt Blechi in Ballbesitz. Er bringt das Geschoß quer über die Straße, direkt an die Hauswand des kleinen Schreibwarenladens. Hier erwischt Lucke die Pille und trifft direkt vor Frau Andersons HO Lebensmittelladen eine Holzstiege mit welken Kohlköpfen. Drinnen wird lauthals getratscht, also besteht keine Gefahr.

Ohne Absprache kramt plötzlich jeder von uns in den Hosentaschen herum. Wortlos legen wir Groschen und Pfennige zusammen. Am Ende reicht das Geld für drei Flaschen Brause. Flaschenpfand brauchen wir nicht zu zahlen, denn Frau Anderson kennt ihre Pappenheimer. Um acht durstige Kehlen zu löschen, gehen die Limoflaschen reihum. Ein paar Minuten sitzen wir auf dem niedrigen Sims des Schaufensters. Auf der anderen Straßenseite fährt ein S 4000 vor und kippt wenig später dampfende Briketts mitten auf den Fußweg. Eine schwarze Staubwolke vertreibt uns aus dem Paradies.

Möbelscholz tritt aus der schwarzen Wolke hervor und legt vor der Fernsehwerkstatt „Ziegenhagen“ den Ball zurecht. Mit Effet dreht der Ball sich um die eigene Achse und kommt schlingernd bis vor das Fleischereigeschäft. Genau an der Ladentür lauert Fischi und setzt zur Flanke an. Der Ball wird an der Feilenhauerei vorbei bis auf die Kreuzung Steinstraße befördert. Er verfehlt knapp das an die Hauswand gelehnte, rußverschmierte Fahrrad des Schornsteinfegers. Nun kommt Bewegung ins Spiel. Der blonde Posti startet, erwischt den Ball und knallt ihn an die Tanksäule vor der Großgarage. Das gefällt dem Garagenwart überhaupt nicht. Noch bevor der beleibte Mann aus der Pförtnerloge kommt, ist die gesamte Mannschaft bereits zwei Häuser weiter.

Das Spiel strebt dem Endpunkt zu. Schlaksig, aber mit Wucht tritt Blechi an. Er bombt den Ball an ein Gitter der gegenüberliegenden Werkstattfenster. Oh Schreck! Der lang gezogene rote Klinkerbau gehört zur Stadtwirtschaft. Hinter einem dieser Fenster arbeitet sein Vater. Motor nimmt Anlauf und presst den Ball an einer Linde vorbei. Der Ball rollt direkt auf das Betriebsgelände der „PGH Aufbau“. Vier Männer sind damit beschäftigt, schwere Rüstleitern und Holzbohlen aufzuladen. Die nehmen keine Notiz von uns. Lucke dribbelt ein paar Meter, lupft den Ball an und flankt ihn seitlich zu Maahties. Der knallt das Leder aus der Drehung mit einem Volleyschuss über die Eisenbahnstraße hinweg, direkt an die Ziegelsteinmauer. Anschlag. Der Ball prallt ab, quert die Straße, um dann müde kullernd auf den Fußweg vor dem Hotel „Drei Schwäne“ zur Ruhe zu kommen. Die acht Freunde reißen die Arme hoch. Geschafft. Vom Spiel erschöpft setzen sich die glorreichen acht auf die Sandsteinstufen der „Schwäne“ und verfolgen, was sich hinter der Mauer tut.

Schnaufend verlässt ein schwarzes Dampfross den Merseburger Bahnhof. Weißgraue Wolken verhüllen die Lok und geben ihr weiche Formen. Auch der Wasserturm wird eingenebelt, bis nur noch die Kuppel sichtbar ist. Das Getöse der Lok, verbunden mit dem Zischen der Ventile gleicht einem Raketenstart. Brechen an der Mauer „Moderne Zeiten“ an? Die Dampfschwaden der Geschichte sind verzogen. Wir schreiben das Jahr 2015. Vieles wurde verändert. Im Jahr 1968 haben – allein in dieser Straße mit ihren vierzig Hausnummern– etwa sechzig Menschen gearbeitet, gehandelt und so täglich ihr Geld verdient. Jetzt wohnt man nur noch. Einzig die Malerfirma „Raum und Farbe“ hat überlebt. Ansonsten wird den meisten Gärten Rasen gemäht und Wurst gegrillt. Blaue, gelbe, braune und schwarze Plastetonnen bringen Farbe in die Höfe. Vor den Häusern reihen sich bunte Autos aneinander. Lindenblüten werden von Reinigungsfirmen mit Laubbläsern weggeblasen. Wer Kohlen benötigt, kauft sie, handlich verpackt, im Baumarkt. Geschäfte gibt es in der „WILLI“ keine mehr. Die Menschen handeln anderswo. Ihre Geschäfte befinden sich in Einkaufsparks und nennen sich Mc Paper, Nail Studio, Backshop oder Mini Zoo. Der Fleischer heißt Post. Aus dem Gebäude der alten Tischlerei entstanden Appartement-Wohnungen. Wo einst Kreissägen sangen und Hobelmaschinen kreischten, geben HiFi-Anlagen den Ton an. Das Mehrfamilienhaus inklusive ABV-Büro wurde abgerissen. Jetzt überspannt an dieser Stelle ein Carport ganze drei Autos. Im Abfüllgebäude der Brauerei füllen zwei Familien samt Möbeln den Raum aus. Hennigs Kolonialwaren-Laden hat sich zu einer geräumige Doppelgarage gewandelt. Die Werkstatt vom Herrn Henneberg beherbergt ein Auto und zwei Fahrräder. Die zu den „Bahnerhäusern“ gehörenden Kleingärten verwildern zusehends. Wie Ausgrabungsstätten erinnern Fundamente abgetragener Lauben an vergangene Sommerfreuden. Im „Lindeneck“ schäumt es schon lange kein Bier mehr aus dem Zapfhahn. Die Luke zum Bierkeller ist mit einer Spanplatte vernagelt. Von der Poststelle wurde der Eingang zugemauert. Der einstige Schalterraum dient heute als Kinderzimmer. Auch Lenz’ Bäckerei wurde zum Wohnraum umfunktioniert. Über das Grundstück der Blumenbinderei weht der Wind des Vergessens. Nachdem dessen Nachbarhaus vor über 60 Jahren einer Fliegerbombe zum Opfer fiel, erlag nun auch das Blumenhaus dem Verfall. Hinter grünem Maschendrahtzaun wachsen statt Blumen Gras, Brennesseln und Disteln. Nach einem kurzen Dasein als Spielhalle und einem Intermezzo als Pizzaladen, steht Frau Andersons Lebensmittelladen heute leer. Die Radio- und Fernsehwerkstatt im Nachbarhaus existiert schon lange nicht mehr. Auf der anderen Straßenseite flimmert abends im umgebauten Schreibwarenladen der Fernseher. Wo einst die Kasse klingelte, röhrt jetzt ein Nachrichtensprecher seine Texte über die Lautsprecher. Das Schaufenster der Fleischerei dient verblühten Geranien zum Winterquartier. Hinter dem Tor der Feilenhauerei-Werkstatt übernachtet ein Auto. Nebenan säumen fünf hellblaue Garagentore die Straßenfront und bieten ihren vierrädrigen Mietern ein Stelldichein. Sämtliche Gebäude der Stadtwirtschaft sind dem Erdboden gleichgemacht, sie dienen zig farbenfrohen Automobilen als Stellplatz. Trotz der vielen Kraftfahrzeuge gibt es in der „WILLI“ schon ewig kein Benzin mehr. In der einstigen Großgarage hat der gesamte Fuhrpark einer Reinigungsfirma Einzug gehalten. Auf dem Handwerkerhof der „PGH-Ausbau“ stehen sich Baufahrzeuge die Reifen platt. Die gelbe Mauer am Ende der Straße wurde durch Maschendrahtzaun ersetzt. Der vor dem Zaun verlaufende Fußweg bietet bis zu dreißig parkenden Autos Platz.

In der fensterlosen Ruine des Hotels „Drei Schwäne“ logierten in den vergangenen Jahren Tauben. An einem sonnigen Herbsttag löste eine stahlharte Abrissbirne diese Herberge in Luft auf. Mit einfachen Spanplatten wurde der Wasserturm unlängst gegen Taubenbefall gesichert. In diesem Zusammenhang haben fleißige Hände auch die rostige Seilwinde entfernt, deren Umrisse mich seit der Kinderzeit an eine Taube erinnern. Sechsundfünfzig Jahre saß die rostige Eisentaube zuverlässig am selben Fleck. Jetzt ist auch sie weggeflogen.



Über die Anwendung barocker Zaubersprüche



Gleichsam einem alten Gemälde entsprungen duckt sich der klägliche Rest des Merseburger Sixtiviertels im Schatten des Wasserturmes. Der Turm ragt stolz in den Himmel, ist aus der Silhouette Merseburgs nicht mehr wegzudenken. Bei genauerem Hinsehen wirkt er aber ebenso müde und abgezehrt wie sein mit Gitterzäunen versperrtes Umfeld. Rings um diesen Hügel liegt ein Stück Merseburger Geschichte begraben. In sternenlosen Neumondnächten, wenn der Turm keinen Schatten mehr wirft, treffen wir uns hier oben am Rande des Wasserbassins. Wir, das sind die Spukgestalten alter Merseburger und die Geister der neu dazu Gestorbenen. Eben all jene, die Merseburger Geschichte geschrieben haben: Schuster, Hebammen, Kesselflicker, Lehrer, Bauherren, Bäcker, Pferdeburschen, Adelige, Musiker, Stellmacher, Bauern, Schreiberlinge, Tagelöhner, Fotografen, Sänger, Friedhofsgärtner, Brauherren, Soldaten, Kirchendiener und Kohlehändler. Alte und junge, Arme und Reiche, sowie die Bösen und Sanftmütigen der Stadt unter einem Dach – wo hat man derartiges in Merseburg schon gesehen? Meist ist der Turm knackevoll. Froh ist, wer einen Platz am Rande des Beckens gefunden hat. Der Rest steht oder schwebt. Wassergeister schwimmen natürlich. Ohne uns gäbe es gar keine Geschichten. Weder gute noch schlechte, diese nicht und keine anderen. In unseren Geschichten verschwimmt die Wirklichkeit, vermischt sich mit Erlebtem und lässt der Phantasie freien Lauf. Null Uhr schlägt die Turmuhr der Neumarktkirche. Nun bildet sich auf der Wasseroberfläche ein dünner Nebel. Das Wasser bekommt eine leuchtend blaue Färbung. In der Kuppel des Turmes mischen sich gelbe, grüne und blaue Luftschleier. Heute ist es an mir, eine Geschichte zu erzählen. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Hoppenhaupt. Johann Michael Hoppenhaupt. Merseburg lag mir zu meiner Zeit auf Erden sehr am Herzen. Deshalb entwarf ich für Merseburg barocke Bauwerke. So zum Beispiel den Schlossgartensalon, die Kirche in Oberbeuna, den Herzogspavillon in Bad Lauchstädt, eine Mühle in Holleben. Prunksärge in der Merseburger Fürstengruft tragen meine Handschrift. Die Kraft meiner Phantasie hat Geheimnisse in vielen meiner Kunstwerke verewigt. Besonders am Herzen lag mir die Obere Wasserkunst. Herzog Heinrich von Sachsen-Merseburg übertrug mir die Aufgabe, die maroden Gebäude der Oberen- und Unteren Wasserkunst in Stein zu errichten. Ein neu erschaffenes Pumpwerk und bleierne Röhren sollten die Obere Altenburg, das Schloss sowie die Domfreiheit mit Saalewasser versorgen. Wer zählt schon die Skizzen? Die Versuche, mich dem Ziel zu nähern. Im Schein einer rußenden Petroleumlampe mühte sich mein Geist oftmals, bis mir die Augen zufielen. Als endlich 1738 im Beisein des Herzogs Saalewasser durch die Röhren strömte und sich die Tröge auf dem Schlossberg mit klarem Wasser füllten, war das Werk vollendet. Von diesem Tag an beflügelte das Plätschern des einströmenden Wassers meinen Geist. Mit diesem über dem Portal der Wasserkunst in Stein gehauenen Spruch sollte dem Baumeister gehuldigt werden: „So faß die Kunst in Bley und Röhren Deß Wassers eingeschränkte Fluth. Ein Druckwerk muß das Steigen mehren Das doppelt treibt und niemals ruht. Diß Theurer Heinrich ist Dein eigen Du baust es neu und nutzbar auf. Gott lasse Deiner Jahre Lauff Wie diese Kunst beständig steigen. Anno 1738 Unweit der Wasserkunst fand ich auf dem Altenburger Friedhof meine letzte Ruhestätte. Aber man stirbt nicht so einfach, ist nicht so plötzlich weg, wie es den Lebenden erscheint. Quirliges Plätschern ließ im Jahre 1889 meinen Geist erwachen. Erstmals verließ ich den Platz, der seit einhundertachtundvierzig Jahren als meine letzte Ruhestätte galt. Dem vertrauten Lied des Wassers entgegen strömte ich mehr, als dass ich lief. Die Dinge, welche mir als Mensch im Wege standen, konnte ich nun durchdringen. Was war geschehen? Hatte sich mein Geist tatsächlich von den Überresten meines Körpers entfernt? Mit einem Mal hatte ich es eilig, an die Quelle des Ereignisses zu gelangen. Rund um die Kirchenruine der St. Sixti wurde ich einer Baustelle gewahr. Ein Ingenieur namens Pfeffer war beauftragt, ein Wasserwerk zu erschaffen, welches die Häuser der Stadt Merseburg mit Wasser versorgen sollte. Oben in der neu errichteten Turmkuppel wurde ein Speicherbehälter aus Stahl eingebaut. Er maß in seinem Durchmesser zwölf Meter und fasste ganze 770 Kubikmeter Trinkwasser. Auf der Baustelle wurde bis zur letzten Minute gesägt, gebohrt, gerüstet, gehievt, genietet, gefeilt und geschliffen. Gerade am heutigen Tag sollte der Turm seiner Bestimmung übergeben werden. Bürger der Stadt, Handwerker und viele Bewohner des Sixtiviertels folgten der feierlichen Einweihung. Es war eine Freude für mich, unbeschwert dem Tun zu folgen. Als ich erfasste, mit welchem Geist dieser Bauherr ans Werk ging, fiel mir mein Sinnspruch wieder ein: „Du baust es neu und nutzbar auf. Gott lasse Deiner Jahre Lauff. Wie diese Kunst beständig steigen.“ In der Kuppel traf mich ein vom klaren Wasser reflektierter Sonnenstrahl, ließ mich über die Geschichte der Wassers in dieser Stadt sinnieren. Dabei musste ich wohl eingenickt sein. Jahre vergingen und viel Wasser floss die Saale hinunter. Jäh wurde ich fast einhundert Jahre später, also im Jahre 1985, von einem gurgelnden Geräusch aufgeschreckt. Als ob das Wasser selber um Hilfe riefe. Der Hilfeschrei ertönte eindeutig aus der Wasserkuppel der St. Sixti-Ruine. Eile schien geboten. Kaum zu glauben, was sich im Turm vor meinen Augen abspielte. Der harte Kern der Merseburger Geisterwelt spukte aufgebracht rings um das Wasserbecken, in welchem mit höllischer Kraft ein Wasserstrudel tobte. Es war, als hätte jemand den Stöpsel herausgezogen. Wassergeister und Nixen retteten sich gerade noch an den stählernen Rand des Bassins. Immer weiter sank das Auge des Strudels in die dunkle Tiefe, bis der letzte Schwall mit einem herzzerreißenden Hilferuf hallend im Steigrohr nach unten preschte. Totenstille hier oben. Nur der Wind strich um die Ecken des Turmes, ein paar Tauben gurrten. Alle Anwesenden schauten sich doppelt entgeistert an. Was war geschehen? Nahe dem Gut Werder, am Rande der Stadt, war in den vergangenen Jahren ein Wasserwerk gebaut worden. Schlicht in der Ansicht, zweckmäßig, architektonisch nichts Besonderes. Mit Wasserkunst hatte diese graue Maus wenig zu tun. Man verbaute, wie es hieß, modernste Technik, aus dem Lande Lenins. Zwei riesengroße Pumpen sollten von nun an den Dienst des Wasserturmes übernehmen. Eine Pumpe für die Versorgung, die zweite stand ausschließlich für den Reservefall bereit. Aufgeregt drängelten sich die Geister in der Turmkuppel, keiner konnte begreifen, was hier geschah. „Erst hat man uns die Häuser des Sixtiviertels genommen. Nun, da wir in diesem Turm ein neues Zuhause gefunden haben, wird uns das Wasser verwehrt!“, rief der Geist des einstigen Baumeisters Pfeffer. Indes hatten sich die Mitarbeiter in der Maschinenhalle des Wasserwerkes zur Pumpenweihe eingefunden. Alle Schlosser trugen frisch gewaschene Arbeitsanzüge, das Anlagenpersonal gefiel in bunten Dederon-Schürzen. An der Wand klingelte das schwarze Telefon. Der Meister nahm den schweren Hörer von der Gabel und meldete sich. Vom anderen Ende der Leitung bekam er die Mitteilung, dass der St. Sixti-Wasserturm endgültig außer Betrieb genommen wurde. Freudig erregt legte er den unförmigen Hörer auf die Gabel zurück. Er durchmaß mit stolzem Schritt die Maschinenhalle und nestelte dabei aufgeregt an seiner schwarzen Ledermütze. Am großen Schaltschrank direkt neben den Pumpen hatten sich die Kollegen aufgestellt. Der Meister betätigte den Hauptschalter. Unter gewaltigem Dröhnen fuhr die Druckpumpe an und förderte von Stund an Trinkwasser in das Rohrnetz der Stadt. Seliger Glanz stieg vorübergehend in des Meisters Augen. „Wie kann man dieser Willkür Einhalt gebieten?“, fragte ich mich. Oft genug hatte ich mir über die zerstörerische Kraft des Wassers Gedanken gemacht. Mit diesem Wissen fasste ich einen einsamen Plan. Mitten in der Stadt, an der Kreuzung Magistrale/Gotthardstraße, stand sich selbst überlassen ein Schlosser. Er hatte die Aufgabe, das Entlüftungsventil zu öffnen, damit die Luft aus dem Rohrsystem entweichen konnte. Lenin stand auf seinem Denkmalsockel und schien gelassen dem emsigen Alltagstreiben im Stadtzentrum zu folgen. Er ahnte nicht, was sich in der Erde direkt unter ihm zusammenbraute. „Warte nur mit deiner Technik! Von wegen unseren Wasserturm trockenlegen!“, grummelte ich etwas verstimmt. Meine übersinnlichen Kräfte reichten aus, den Schlosser zu beeinflussen. Verträumt stand der neben dem Schieber und verfolgte die Kondensstreifen eines Flugzeuges. Darüber vergaß er seine Aufgabe. Der Schlosser setzte sich auf den Bordstein und blickte ins Leere. Nun nahm das Schicksal seinen Lauf. Die neue Pumpe drückte mit enormer Kraft Wassermassen in die Hauptleitung. Das zum Stadtzentrum hinströmende Wasser schob eine Luftblase vor sich her, welche sich mehr und mehr verdichtete. So entfalteten sich in dem Rohr ungeahnte Kräfte und es kam, was kommen musste. Der aufgebaute Druck war so hoch, dass er sich mit einem zerstörerischen Knall den Weg ins Freie bahnte. Erschrocken zuckte der Schlosser zusammen. Er sah nur noch, wie der blaue Entlüftungsschieber hoch über ihm seine Bahn zog. Im Wasserwerk bemerkte man den plötzlichen Druckabfall, meinte aber, das hinge mit der Inbetriebnahme der Pumpen zusammen. Also lief der Meister zum großen Schaltschrank. Rückte erneut den abgewetzten Schirm seiner schwarzen Ledermütze zurecht und tat etwas sehr Verhängnisvolles. Er schaltete per Knopfdruck die Reservepumpe zu. Dadurch verdoppelte sich der im Rohr anstehende Druck. War mein alter Sinnspruch etwa doch eine Zauberformel? „So faß die Kunst in Bley und Röhren Deß Wassers eingeschränkte Fluth. Ein Druckwerk muß das Steigen mehren Das doppelt treibt und niemals ruht.“ Genau das geschah! Zu Lenins Füßen schoss eine meterhohe Fontäne in den Merseburger Abendhimmel. Die Asphaltdecke riss auf, darunterliegende Pflastersteine wurden ausgespült. Wie ein Vulkan spie das tobende Wasser Sand, Steine, Schotter in die Höhe. Schnellen Schrittes, geduckt und mit eingezogenen Köpfen, versuchten Passanten sich dem herabregnenden Trinkwassermassen zu entziehen. Vor dem Denkmal entstand ein riesiger wassergefüllter Krater. Die Straßenbahngleise sackten ab. Auch das Fundament des Lenindenkmals wurde vom ständig nachdrückenden Wasserstrom unterspült. Dadurch neigte sich die riesige Bronzeskulptur allmählich nach Osten. Polizei, Feuerwehr und natürlich Schaulustige bildeten die Kulisse für dieses Drama der Wasserkunst. Der eilig herbeigerufene Bereitschaftsdienst stand Kopf. Ein Herr im braunen Anzug, dem ich bei der Einweihung der neuen Pumpen begegnet war, sprang aus dem Auto und schrie völlig entgeistert: „Alles, nur nicht Lenin!“ Das auf ihn herabprasselnde Wasser erstickte seinen einsamen Schrei. Vorhin in der Maschinenhalle sprach er noch von einer neuen Ära und der modernen Technik aus dem Lande Lenins und von Planerfüllung. Nun schien alle Zuversicht aus ihm gewichen. Vollkommen durchnässt, mit hängenden Armen und gesenktem Kopf, schaukelte er mehr, als dass er ging, seiner bangen Zukunft entgegen. Aus seiner Perspektive erschienen ihm die Oberleitungen der Straßenbahn wie Fallstricke. Im Scheine der untergehenden Sonne drohte Lenin direkt in dieses Geflecht aus Stahlseilen zu kippen. Nun war es an mir. Es bedurfte einiger telepathischer Kunstgriffe, um den Meister im Wasserwerk zu bewegen, endlich die gewaltigen Pumpen abzustellen. Aus der ungebändigt austretenden Fontäne wurde allmählich ein Springbrunnen. Nach kurzer Zeit blieb davon nur noch ein weicher Wasserstrahl übrig, welcher mit letzter Kraft versuchte, einen Bogen zu erzeugen. Aus! Schlagartig war es still. Totenstill! Im Rinnstein plätscherten noch vereinzelte Rinnsale in Richtung Kanalisation. Um das Sixtiviertel wieder mit Trinkwasser zu versorgen, aktivierte man eilig den gerade erst außer Betrieb genommenen Wasserturm. Frischer klarer Quell sprudelte noch am späten Abend in das Speicherbassin. Ein Wassermann rutschte vom Rand in die Fluten. Bald darauf stiegen vorsichtig zwei Nixen in das klare Nass. Der Bademeister vom alten Saalebad nahm Anlauf und versuchte es wie in seinen besten Zeiten mit einer Arschkrampe. Sah gut aus, spritzte aber nicht. Geist halt! Ganz unvermittelt tauchte eine Glatze aus dem Wasser auf. Das war der Saalealf. Er hob seinen Kopf aus dem Wasser und nuschelte wässrig: „Leude, esch ischt gleisch Einsch!“ Der erste Stundenschlag tönt von der Neumarktkirche her. Das blaugrün schimmernde Licht hinter den Fensterscheiben des Turmes der St. Sixti erlischt. Die illustere Gesellschaft löst sich in nichts auf und der Spuk findet für eine weitere Geisterstunde sein gutes Ende.


Nebel


Elfenbein tritt ins Auegras

leicht und weich

es schwebt

Nebel weht


Seidenschleier

umhüllt sanft

ein Geheimnis

lässt werden

Nebel steht


Zeitstrom

nimmt mit

das Leichte

macht es fest

Nebel geht


Seelenwein

tränt ins Glas

rot und schwer

und tröstet

Nebel verweht


 

Bodenkrume

klebt

erden und zäh

am Fuß

Leben vergeht

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